Zur Konzeption und Didaktik der Materialsammlung
Rantzau und der Lehrplan
Heinrich Rantzau (1526-1598) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte Schleswig-Holsteins. Der Spross einer der großen Adelsfamilien des Landes bekleidete einflussreiche Ämter und absolvierte eine beispiellose Karriere als Berater und Statthalter dreier dänischer Könige. Zugleich machte er sich als Schriftsteller, Bauherr und Mäzen einen Namen. Wie kein anderer prägte er die Geschichte der Herzogtümer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wer sich mit der Epoche der frühen Neuzeit in Schleswig-Holstein beschäftigt, kommt an Heinrich Rantzau nicht vorbei.
Das akademisch-wissenschaftliche Interesse an seinem Leben und Wirken ist ungebrochen und sein 2026 bevorstehender 500. Geburtstag wird mit Sicherheit auf großes Interesse in der Öffentlichkeit stoßen. Anlass genug, der Frage nachzugehen, inwieweit das Thema auch für die Schule interessant sein könnte. Der Lehrplan (Fachanforderungen Geschichte) sieht die Behandlung landesgeschichtlicher Themen ausdrücklich vor, wobei es Aufgabe der Schulen vor Ort ist, die Unterrichtsinhalte zu konkretisieren. Themen zu Heinrich Rantzau lassen sich unter diesen Rahmenbedingungen sowohl in das chronologisch angelegte Curriculum der Sekundarstufe I als auch in die thematischen Längsschnitte der Sekundarstufe II integrieren. Das didaktische Potenzial ist damit indes keineswegs erschöpfend beschrieben. Es erschließt sich erst aus dem Zusammenspiel der in vielerlei Hinsicht exemplarischen Figur Rantzaus und dem landes- und regionalgeschichtlichen Zugang.
Exemplarisches Lernen
Im Geschichtsunterricht von heute geht es nicht mehr in erster Linie um Zahlen und Fakten, sondern um den Erwerb von Kompetenzen. Vereinfacht gesagt, sollen die Schüler lernen, sich mit geschichtlichen Sachverhalten kritisch auseinanderzusetzen, Urteile zu bilden sowie eigene Deutungen vorzunehmen und fremde Deutungen zu hinterfragen (zu "dekonstruieren"). Aus diesem pädagogischen Leitbild ergeben sich die Kriterien für die Auswahl und didaktische Aufbereitung des zu behandelnden Stoffs, von denen zwei wesentliche hier näher betrachtet werden sollen: die Exemplarität und der Gegenwartsbezug. Der historische Gegenstand sollte "exemplarisch" sein, das heißt, er sollte beispielhaft "grundlegende Einsichten in historische Prozesse, Strukturen und Zusammenhänge" (Fachanforderungen) vermitteln; zudem sollte der Stoff Bezüge zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Kernproblemen haben oder Teil des kollektiven historischen Gedächtnisses und der Geschichtskultur sein.
Prototyp der Moderne
Solche Bezüge und Einsichten sind in fast allen Facetten der vielschichtigen Persönlichkeit Rantzaus und ihrer historischen Rolle angelegt: Rantzau gilt als ein exemplarischer Vertreter der anbrechenden Moderne in der frühen Neuzeit. Als Gutsherr und frühkapitalistischer Unternehmer, gelehrter Humanist und Prototyp eines neuen Typus des beamteten Dienstadels in dem sich herausbildenden modernen Staat widerspiegeln sich in ihm wesentliche Erscheinungsformen der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüche des 16. Jahrhunderts. In seiner Funktion als Diplomat und scharfer Beobachter der Zeitgeschichte lassen sich politische Spannungen und Konflikte seiner Zeit, allen voran die konfessionelle Spaltung, aus seiner Perspektive anschaulich fassbar machen. Viele seiner Pläne, die er verfolgte, sei es seine weitsichtige Friedenspolitik oder seine nachhaltige Forstwirtschaft, haben ihre Aktualität bis heute nicht verloren. Mit seiner rationalen Weltsicht, den stoischen Tugenden des Maßhaltens und der Affektkontrolle schließlich verkörpert er Grundzüge des modernen autonomen Individuums. Zugleich war Rantzau Angehöriger der holsteinischen Ritterschaft und damit tief verwurzelt in der mittelalterlichen ständischen Ordnung und agrarischen Feudalgesellschaft, die nicht zuletzt die Alltagswelt der Menschen über Jahrhunderte bis weit in die Neuzeit prägte.
Das rantzausche Zeitalter
Auch wenn Heinrich Rantzau im Vordergrund steht, so beschränkt sich der Ansatz für diese Materialsammlung keineswegs nur auf seine Person und sein Handeln - sie soll keine Neuauflage von "Männer machen Geschichte" sein. Seine Leistungen sollen weder verklärt oder idealisiert, sondern unvoreingenommen gewürdigt und auch kritisch beurteilt werden. Ziel ist es dabei, die Kräfte des Wandels und der Beharrung, die Strukturen und säkularen Prozesse einer Zeit im Aufbruch exemplarisch an dieser historischen Figur darzustellen. Dieser Blick auf das "rantzausche Zeitalter" umfasst ausdrücklich auch die Zeit seines Vaters Johann Rantzaus, der seinem Sohn Heinrich in vielerlei Hinsicht die Bühne bereitet hat.
Geschichte im Nahraum
Rantzaus Wirken in Schleswig-Holstein und Dänemark hat viele Spuren hinterlassen. An vielen Stätten seines Wirkens, vor allem in Bad Segeberg und im Kreis Steinburg kann man noch heute Denkmäler und Kunstwerke, die er schuf, besichtigen. Die landes- bzw. regionalgeschichtliche Ausrichtung des Themas bietet in besonderer Weise Gelegenheit für die Anwendung des in der Pädagogik zentralen Konzepts des forschenden und entdeckenden Lernens, das insbesondere außerhalb des Klassenraums seine Vorteile ausspielt. Geschichte im "Nahraum" der Schüler fördert aus lernpsychologischer Sicht Motivation und Eigeninitiative. Historische Zeugnisse, die im konventionellen Geschichtsunterricht überwiegend "narrativ" vermittelt werden, werden als Teil der eigenen Lebenswelt unmittelbar erfahrbar. Damit liegen die didaktischen Vorteile der Landesgeschichte zwar auf der Hand. Dem stehen jedoch bisweilen die partikularen historischen Besonderheiten vor Ort sowie das spezifische Gefüge der lokalen Institutionen und Interessenvertreter gegenüber, die sich erschwerend für den Zugang auswirken können. Besonders für Lehrkräfte, die nicht mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind, kann dies eine nicht zu unterschätzende Einstiegshürde darstellen und einen hohen Aufwand für die Unterrichtsvorbereitung nach sich ziehen.
Unterrichtsmaterialien für Lehrerinnen und Lehrer
Hier setzt unsere Materialsammlung an. Wir möchten eine Lücke schließen und Lehrerinnen und Lehrern den Zugang zu diesem spannenden Unterrichtsthema erleichtern. Wir sind zuversichtlich, dass durch das Engagement aller Beteiligten Beiträge entstehen, die wichtige Facetten des rantzauschen Zeitalters auf unterschiedliche Weise beleuchten. Sie sollen Lehrkräften, die im Tagesgeschäft wenig Zeit für aufwendige Recherchen und Sichtung von Quellen und Literatur haben, einen Fundus bieten, der das Schulbuch und den Unterricht ergänzen und bereichern kann. Ob es sich um eine Zusammenstellung von Quellen handelt oder eine fertige, didaktisch-methodisch aufbereitete Unterrichtseinheit, ob um einen Projektbericht oder eine Exkursion: Einen Beitrag leisten kann jeder, der Interesse hat und über die nötigen Kenntnisse verfügt.
Über den Geschichtsunterricht hinaus
Diese Sammlung ist zwar vorwiegend auf den Geschichtsunterricht ausgerichtet, doch interdisziplinäre Ansätze und eine fächerübergreifende Verwendung, z.B. die Übersetzung von Denkmalinschriften im Lateinunterricht, sind denkbar und wünschenswert. Abschließend sei daran erinnert, dass Lernen nicht nur eine kognitive, sondern auch eine affektive Dimension hat. Lernen funktioniert erwiesenermaßen umso besser, je mehr Sinne angesprochen werden. Der kreative, spielerische Zugang, verbunden mit Neugier, Spaß und Spannung, sollte nicht zu kurz kommen. So kann sowohl eine Abhandlung über die Rolle des Beamtentums im frühmodernen Staat als auch eine Bastelanleitung für die Siegesburg in dieser Materialsammlung ihren Platz finden.
Autor
Ulrich Vogel (8/2022)
Literatur
Einführungen zu Heinrich Rantzau
- Detlef Dreessen, Heinrich Rantzau. Humanist, Universalgelehrter, Staatsmann, Visionär,
Bad Segeberg 2022 - Dieter Lohmeier, Heinrich Rantzau. Humanismus und Renaissance in Schleswig-Holstein,
Heide 2000 - Heinrich Rantzau (1526-1598). Königlicher Statthalter in Schleswig und Holstein. Ein
Humanist beschreibt sein Land. Ausstellungskatalog Landesarchiv Schleswig-Holstein 1999
Didaktik der Landes- und Regionalgeschichte
- Oliver Auge, Martin Göllnitz (Hg.), Landesgeschichte an der Schule. Stand und
Perspektiven, Ostfildern 2018 - Oliver Auge, Regionalgeschichte zum Mittelalter: Ein Thema für Schulen in
Schleswig-Holstein?, in: Sebastian Barsch, Geschichtsdidaktische Perspektive auf die
'Vormoderne', S. 137-150 - Detlev Kraack, Landes-, Regional- und Lokalgeschichte - bislang weitgehend ungenutzte
Potenziale für die schulische Vermittlung von Geschichte, in: Auge/Göllnitz,
Landesgeschichte an der Schule, S.109-133 - Rolf Schulte, Landes- oder Regionalgeschichte in der Schule? in: Auge/Göllnitz,
Landesgeschichte an der Schule, S. 93-107
Lehrpläne
- Fachanforderungen Geschichte Sek. I/II des Landes Schleswig-Holstein und
Leitfaden zu den Fachanforderungen Geschichte Sek. I/II des Landes Schleswig-Holstein
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